herausgegeben von Lars-Thade Ulrichs
Unter dem Titel "Das alte Europa" - einem in letzter Zeit bekanntlich des öfteren abwertend gebrauchten Begriff - hat der Peust & Gutschmidt Verlag im Jahr 2004 eine neue Reihe begonnen.
Eröffnet wird die Reihe mit der "Kleinen Bibliothek vergessener Autoren", innerhalb derer schwer oder gar nicht zugängliche Texte insbesondere des 18. bis 20. Jahrhunderts der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden sollen.
Darüber hinaus ist eine Erweiterung der Reihe in Richtung wissenschaftlicher Publikationen geplant. Hier soll vor allem jungen Wissenschaftlern der Philosophie sowie der Literaturwissenschaften die Gelegenheit gegeben werden, mit ihren Forschungsergebnissen in die Öffentlichkeit zu treten.
|
Kleine Bibliothek der vergessenen Autoren
|
"Silvans Bibliothek" – Wezels Version der Swiftschen Bücherschlacht – beschreibt auf unnachahmliche Weise, wie ein junger deutscher Edelmann in einem heruntergekommenen Gewächshaus eine standesgemäße Bibliothek einrichtet, in der der „Geist der Kleinigkeit“ mit seinem Zauberstab die Bücher in ihre Autoren verwandelt. Nun gibt es kein Halten mehr: ein Drunter und Drüber, ein Hauen und Stechen, bei dem der Aberwitz seine irren Kaprionen schlägt, macht den Büchersaal erst zu einem Tollhaus, dann zu einem Schlachtfeld. Schließlich verwandelt ihr edelblütiger Besitzer die Bibliothek erneut in einen – Hühnerstall.
Der "Euphrosinopatorius" hingegen randaliert in Form eines sokratischen Dialogs munter durch die Philosophiegeschichte. In einem atemberaubenden par-force-Ritt durch das Denken des 18. Jahrhunderts gerät alles in Bewegung – in die reine Bewegung nicht der Begriffe, sondern der Metaphern. Vorgeführt wird so die fröhliche Wissenschaft eines radikalen Skeptikers. Es ist kaum zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass eine solche Verve philosophischer Rhetorik erst von Nietzsche wieder erreicht worden ist. Und am Ende lockt die schöne Narzisse ins Rokokogemach ...
Der Band versammelt zwei satirische Erzählungen von Johann Carl Wezel (1749-1819), des Verfassers des von Arno Schmidt gerühmten "Belphegor" sowie des Bildungsromans "Hermann und Ulrike", den Wieland als den "beste[n] teutsche[n] Roman" bezeichnete, "der mir jemals vor Augen gekommen" ist. Diese Erzählungen können als ideale Einführung nicht nur in das literarische Werk, sondern auch in das Denken dieses zu Unrecht vergessenen Autors angesehen werden.
Anzeige
| |
| ||
Georgios M. Bizyenos (altern. Vizyenos, Vizyinos, Viziinos oder Visyinos; 1850–1896) gilt als einer der hervorragendsten Repräsentanten der neugriechischen Literatur. Bekannt vor allem durch seine Lyrik wandte er sich relativ spät der Prosa zu und schrieb einige meisterhafte Erzählungen. Die zweisprachige Ausgabe soll diesen in Deutschland weitgehend unbekannten Schriftsteller wieder zugänglich machen, aber auch den Griechisch - oder Deutsch - Lernenden literarischen Lesestoff bieten
Die Erzählung "Die Folgen der alten Geschichte" spielt im Deutschland des 19. Jahrhunderts und läßt die Handlungsorte, Göttingen und den Harz, wieder lebendig werden. Der in Göttingen promovierte Bizyenos wußte, wovon er sprach: Seine Schilderung der Verhältnisse im Landeskrankenhaus – der damals modernsten „Irrenanstalt“ der Welt – ist auch heute noch eindrucksvoll. Der Blick des Fremden auf das „deutscheste aller Gebirge“, den Harz, eröffnet eine eigentümliche Perspektive auf diesen mythenumwobenen Ort und taucht die Liebesgeschichte in eine romantische Atmosphäre.
In "Die Sünde meiner Mutter" wird der Leser in den Herkunftsort des Autors entführt: Die lebendige Darstellung der thrakischen Provinz im 19. Jahrhundert, aus der Bizyenos trotz aller Widrigkeiten nach Athen und schließlich nach Deutschland ausbrach, bildet den Rahmen für die hinreißende Schilderung eines Familienschicksals, das durchaus tragikomische Züge trägt.
Den Erzählungen angefügt sind ausführliche Erläuterungen sowie ein Anhang, der weiterführende Informationen über den Autor, sein Werk und seine Sprache enthält.
Anzeige
|
||
| ||
Wilhelm Hauff (1802-1827) ist berühmt vor allem für Märchen wie "Das kalte Herz" oder "Der kleine Muck". Weniger bekannt sind hingegen seine – oftmals historischen – Romane, Novellen und Erzählungen. Durch die späteren historischen Ereignisse zu Unrecht in Verruf geraten ist seine Novelle "Jud Süß", in der er auf bemerkenswert differenzierte Weise das Schicksal des Württembergischen Hofjuden Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738) darstellt.
"Jud Süß" kann als eine der herausragenden historischen Novellen der deutschen Romantik angesehen werden. Der später von Feuchtwanger bearbeitete und von der nationalsozialistischen Propaganda benutzte Stoff wird von Hauff auf eine Weise behandelt, die weit entfernt ist von antisemitischer Ideologie. Gleichwohl ist seine Darstellung des jüdischen Finanzpolitikers durchaus kritisch. Sie ist aber eingebettet in den Konflikt zwischen dem Fürsten und den Landständen und damit in den Streit der Konfessionen. Zentraler Gegenstand der Erzählung ist jedoch die Liebesgeschichte zwischen dem Christen Lanbek und Lea, der Schwester von Süß Oppenheimer.
Im Anhang wird die Novelle ausführlich erläutert und in den kulturgeschichtlichen Kontext eingeordnet. Dadurch soll der Leser zu weiterer kritischer Auseinandersetzung mit der Thematik angeregt werden.
Anzeige
|